WAHLBOYKOTT
2005

Diskussions-Seite

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Um die Diskussion übersichtlich zu halten, haben wir inzwischen für jede Woche eine eigene Unter-Seite eingerichtet. Die Unter-Seiten sind jeweils über eine Navigations-Leiste am oberen und unteren Ende erreichbar.


26.09.05

@Tatjana &
hallo sonstige MitdiskutiererInnen!

Ich finde die Überlegungen zu den Medien sehr interessant. Unter diesem Gesichtspunkt betrachtet, hätte sich Schröder am Wahlabend eigentlich gar nicht über die Medien derart echauffieren müssen - nur mit dem künstlichen Rückstand gegenüber Schwarz-Gelb konnte die "fulminante Aufholjagd" inszeniert werden. Und erfahrungsgemäß schließen sich die Unentschlossenen überwiegend demjenigen an, DER im Endspurt als dynamisch erscheint.

Vom angeblichen "Versagen" der Medien und der Umfrage-Institute hat die SPD ganz objektiv profitiert. Vielleicht sollte der "etwas zu krawallig" (Doris) geratene TV-Auftritt gerade hiervon ablenken. Bei einem Medien-Profi wie Schröder darf primär immer zuerst mal davon ausgegangen werden, daß nichts spontan und alles inszeniert ist.

Bemerkenswert ist auch, daß die Medien - der Spiegel ab Herbst 04 vorne weg, die taz im Frühjahr halbherzig zuletzt auf den fahrenden Zug aufgesprungen - zwar Stimmung für Schwarz-Gelb gemacht, jedoch zu keinem Zeitpunkt irgendeine kritische Debatte über Rot-Grün angeheizt haben. Weder wurden die "Arbeitsmarktreformen" aus neoliberaler Perspektive kritisiert (das penetrante Lamento, sie seien zu zögerlich und nicht einschneidend genug, wurde seit Jahren auf konstantem Pegel belassen), noch gar deren notwendige Wirkungslosigkeit bei der Schaffung von Arbeitsplätzen aus linker Sicht thematisiert. Es wurde lediglich über die "schwarze Serie" verlorener Landtagswaglen spekuliert, obwohl diese seit den Taktierereien Schröders mit schwarzen Ministerpräsidenten und der faktischen großen Koalition im Bundesrat realpolitisch völlig bedeutungslos waren. Die "Blockade im Bundesrat" wurde ebenso aussschließlich medial inszeniert wie die "Schicksalswahl" im SPD-Stammland Nordrhein-Westfalen.

Interessant ist auch, daß die Schwarzen (von den Gelben mal ganz abgesehen) sich entgegen jeder PR-Erfahrung als Neoliberale reinsten Wassers präsentierten - Kirchhof war nur der Gipfel - und die sonst umworbene "Mitte" kampflos der SPD überließen, die sich so ohne Risiko links geben konnte. Die Union wich ohne Not von der siegesgewohnten Rolle als "Volkspartei" ab, versteckte den sonst so dekorativen Flügel aus Christlich-Wertkonservativen und Arbeitnehmerfragenden und wollte angeblich aus purer Ehrlichkeit - im Wahlkampf! - nichts mehr von den Segnungen des rheinischen Kapitalismus verkünden. Da ist der Verdacht nicht von der Hand zu weisen, daß das Regierungsgeschäft angesichts "nachhaltig" ruinierter Staatsfinanzen kaum mehr prestigeträchtige Perspektiven bietet. Und ein Himmelsfahrtskommando ist wohl nur für Leute verlockend, die Religion allzu ernst nehmen...

Karl Menning

 

26.09.05

Hallo Leute!

Ich bin 45 Jahre alt und selbst von Hartz IV betroffen. Wenn ich irgend kann, gehe ich auf die Montagsdemonstrationen. Ich mache trotz geringer Beteiligung weiter, weil ich die Erfahrung gemacht habe, dass gegen Ohnmachtsgefühl und Depressionen nur hilft, sich zu wehren. Und ich sehe im Moment kein anderes Mittel, sich zu wehren. Ich mache mir keine Illusionen, dass es kurzfristig etwas nutzt. Schwarz, Rot, Gelb und Grün werden weiter machen wie bisher, gleichgültig in welcher Koalition. Und das werden sie solange machen, wie sie in Wahlen eine Mehrheit bekommen.

Auch von der Linkspartei verspreche ich mir nichts. Einige haben hier auf diesen Diskussionsseiten geschrieben, dass sie im Bundestag erfolglos sein werden und dass diese Erfolglosigkeit die Resignation nur noch verschlimmern wird. Das befürchte ich auch. Ich bin kein Pessimist, aber wenn einige behaupten, dass der Sozialabbau erst noch viel weiter gehen und alles noch viel schlimmer werden muss, bevor sich die kleinen Leute wehren, halte ich das für Spekulation. Die meisten sehen nur dann einen Sinn darin, sich wehren, wenn sie eine Chance sehen, dass etwas sich ändern könnte. Und solange sie den Kapitalismus für unüberwindlich halten, verharren sie in Resignation. Leider stärkt auch die Führungsschicht der Linkspartei den Glauben daran, dass der Kapitalismus - zumindest jetzt - nicht abgeschafft, sondern allenfalls reformiert werden könnte. Doch dafür geht keiner auf die Strasse!

Solange die Gewerkschaften sich nicht massiv für die Arbeitslosen einsetzen, wird es kaum erfolgreiche Proteste geben. Doch Bonzen wie Sommer sagen ganz offen, dass sie keine Spaltung der Gewerkschaften riskieren wollen. Lieber riskieren sie, dass aus den deutschen Gewerkschaften Bettvorleger wie in England werden. Wenigstens die Gewerkschaftsbasis sollte sich den Montagsdemonstrationen anschliessen, auch wenn ganz offensichtlich damit kein Druck mehr erzeugt werden kann und die politische Klasse absolut dickfellig geworden ist. Aber den weiteren Sozialabbau ohne Protest hinzunehmen, ist feige.

Lieber mache ich so weiter, als alles still zu schlucken. So kommt es wenigstens trotz Medienblockade an die Öffentlichkeit, in welchem erbärmlichen und rechtsfreien Zustand 1-Euro-JobberInnen gehalten werden. Diese täglichen Tragödien interessieren die Medien bis auf gelegentliche Ausnahmen, die als Alibi dienen, kein bisschen. Das SGB II wird dauernd gebrochen und zurechtgebogen. Die Betroffenen trauen sich meist nicht, sich zu wehren, oder sie wissen nicht wie.

Tschüss
Thomas

 

28.09.05

Guten Tag

In den Medien wundern sich die KommentatorInnen reihenweise, warum SPD und Union, die beiden "Volksparteien", nicht nur bei dieser Bundestagswahl, sondern bereits seit Jahren bei Wahlen mehr und mehr an Stimmen verlieren. Bis auf rein kosmetische Unterschiede waren beide - auch während der Regierungszeit Kohls - sozialdemokratische Parteien. Sie verdanken ihre Existenz dem zeitweilig stabilen Gleichgewicht zwischen den Kräften des Kapitals und der gewerkschaftlich organisierten Gegenkraft von ArbeiterInnen und Angetellten. Dieses ökonomische Gleichgewicht der Nachkriegsära wurde von Union und SPD in verteilten Rollen auf politischer Ebene austariert und in Gesetzesform immer wieder neu justiert.

Die wichtigsten Auswirkungen der sogenannten Globalisierung sind der relative Rückgang des produzierenden Sektors in Folge rasanter Produktivitätssteigerungen, das sich daraus ergebende globale Überangebot an menschlicher Arbeitskraft und der wegen der Verfügbarkeit fossiler Energieträger mittelfristig fortbestehende oder gar weiter wachsende globale Warenaustausch.

Seit Mitte der 70er Jahre sind diese Auswirkungen zunächst in den USA und in Großbritannien sichtbar geworden. Während die Macht des Kapitals stetig zunahm, schwand die Macht der Gewerkschaften zusehens. Der politische Ausdruck dieser Entwicklung, der "neoliberale Zeitgeist", brach sich nicht nur in den Parteien Bahn, die von ihrer Mimikry her traditionell eher dem Kapital zugeordnet werden (Reagan, Thatcher), sondern auch in deren Antagonisten auf der politischen Bühne (bei Labour: Blair, bei der SPD: Schröder u.s.w.).

Die Verschiebungen im sozialen Gefüge, der Abbau des "Sozialstaats" oder "Wohlfahrtsstaats" mußten nun als Reformen zu dessen Erhalt verkauft werden. Der weitere beschleunigte Sozialabbau wird als "Zukunftssicherung" für nachfolgende Generationen propagiert. Die Mehrheit der WählerInnen, die auf den Verkauf ihrer Arbeitskraft angewiesen ist, wird mit ihren Ängsten "ernstgenommen" und mit zunehmend unglaubwürdigeren Versprechungen abgespeist. Die ideologische Basis der "Volksparteien" wird immer fadenscheiniger und der Anteil der StammwählerInnen nimmt drastisch ab.

Der Wahlerfolg der Linkspartei wird jedoch von Union und SPD ignoriert, solange nach bewährtem Schema in Zusammenspiel von Bundestag und Bundesrat weiter die vom Kapital vorgegebene Politik exekutiert werden kann. Nach einer gebührlichen Zeit des Zierens, die einen Restbestand an ideologischen Differenzen zwischen den Parteien glaubhaft erhalten soll, wird irgendeine Koalition dem staunenden Publikum präsentiert werden. Doch ähnlich wie zum Ende der Weimarer Zeit wird die Glaubwürdigkeit der etablierten Parteien rapide sinken. Unweigerlich wird der Gegensatz zwischen politischer Propaganda einerseits und den weiterem Sozialabbau bei steigender Arbeitslosigkeit andererseits immer deutlicher werden. Der Sessel im Kanzleramt wird sich in immer kürzeren Abständen als Schleudersitz herausstellen.

Ciao
Jutta

 

29.09.05

Das paßt jetzt hier vielleicht nicht unbedingt in diese Diskussion und ich habe auch gewählt - mit vielen Bauchschmerzen. Ich stimme mit vielen Argumenten, die hier für Wahlboykott angeführt wurden vollkommen überein. Aber diesmal habe ich doch wieder taktisch gewählt...

Ich möchte hier einmal meine Wut zum Ausdruck geben wegen dieser "Offensive für Deutschland". Das ist doch echt der Hohn! Mit dieser Medienkampagne wird versucht, jede Kritik an der gegenwärtigen Wirtschaftspolitik, an den Lügen vom Umbau des Sozialstaats, der weder Arbeitsplätze schafft, noch den Sozialstaat erhalten soll, als Nörgelei abzutun. Mit einer massiven Propaganda wie sie bisher für mich nur in einem totalitären Staat denkbar war soll den Menschen eingeredet werden, alles wird gut, wenn sie sich nur genügend mit Deutschland identifizieren oder positiv denken. Es fehlt nur noch, daß wir alle "Tschakka!" rufen sollen.

Auch wenn es jetzt plötzlich wieder heißt, die Arbeitslosigkeit sinke. Woher sollen denn die Arbeitsplätze kommen? Es grenzt doch schon an sektenhafte Realitätsverleugnung, wenn all diese Sprechblasenproduzierer uns erklären wollen, der "Stillstand" in Deutschland sei lediglich ein mentales Problem. Was ändern solche TV-Spots für einen 50-jährigen Erwerbslosen, der nach mehr als 30 Jahren Arbeit jetzt von Arbeitslosengeld II leben muß? Gibt ihm einer von diesen Schwätzern einen Job? Haben sie irgendeinen Plan wie die Auswirkungen der Globalisierung gerechter zwischen Arm und Reich verteilt werden könnten?

Für diejenigen, die diese Kampagne bezahlen, sind die Menschen doch nur Humankapital, ein Kostenfaktor oder ein ökonomischer Kollateralschaden. Ohne mit der Wimper zu zucken entlassen sie Tausende, während die Gewinne um 30 oder 40 Prozent steigen. Sie reden von brutalem Kostendruck und meinen doch nur den Druck der Kapitalgeber, noch mehr Rendite zu bringen, noch mehr die Kosten zu senken und den Gewinn ins Astronomische zu steigern zum Wohle von einigen wenigen Investoren. Die Gewinne werden privatisiert und die Unternehmensrisiken sozialisiert. Und jetzt kommen solche überbezahlten Sport-, TV- oder Kulturprominente, daß ich Deutschland bin.

Richard

 

30.09.05

Immer wieder wird dieser unsinnige "Argument" wiedergekäut, wer nicht wähle, dürfe sich hinterher auch nicht beschweren. So, nun dürfen sich nach dieser Wahl also alle beschweren?

Wer meint, mit Wählen auch nur einen winzigen politischen Einfluß ausüben zu können, sollte mal Luhmann lesen. Systeme funktionieren so, daß sie sich selbst schützen. Und jede Systemveränderung, die von innen heraus zustande kommt, dienst lediglich zur Optimierung des Systems und seines Selbstschutzes - nicht zum Wohlergehen der darin Lebenden.

Systeme assimilieren oder speien aus. Wer assimiliert, also für den Selbstschutz des Systems funktionalisiert werden kann, wird assimiliert - in diesem Sinne sind selbst die Häretiker und Dissidenten als Alibilieferanten systemisch erwünscht. Alles andere in den Mülleimer!

Wer das mal begriffen hat, wird sich keine Illusionen mehr darüber hingeben, eine Wahl zu haben. Und wer gewählt hat, darf sich nicht darüber beschweren, daß diejenigen, die er gewählt hat, genau das machen, was er mit ihrer Wahl verhindern wollte. Denn das hätte er vorher wissen können.

Ips

 

 

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