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12.09.05
[Demokratie-Diskussion]
Hallo Leute!
Ich finde, in der Diskussion wie eine echte Demokratie aufgebaut werden kann, muß
auch der Begriff >Freiheit< kritisch beleuchtet werden. Nicht zuletzt, weil mit dem
Mißbrauch dieses Begriffs der Kapitalismus gerechtfertigt und damit letztlich
Demokratie unterdrückt wird.
Um nicht auf das gerne verbreitete Durcheinander bei Diskussionen
über Freiheit hereinzufallen, sollte klar zwischen offen zutage tretender Macht
und anonymer Macht unterschieden werden.
Erstere wird unmittelbar und unverhüllt ausgeübt. In diesem Fall heißt es ganz offen:
"Sie müssen das tun. Wenn Sie es nicht tun, werden bestimmte Zwangsmaßnahmen die
Folge sein." Die anonyme Macht bemüht sich, den Zwang zu verheimlichen. Sie tut
so, als sei sie gar nicht vorhanden, als geschähe alles mit Zustimmung der Betroffenen.
Das beste Beispiel sind Wahlen: Zuerst wird die Freiheit vorgegaukelt, zwischen
verschiedenen Alternativen wählen zu können und nach den Wahlen wird eine
Politik, die dem Willen der Mehrheit widerspricht damit begründet, daß eine
Mehrheit so entschieden habe.
Pädagogik spielt dabei eine ganz wesentliche Rolle. Schon in den Schulen wird
die direkte Machtausübung vermieden "Wenn du das nicht tust, bestrafe ich dich",
sondern ein ganzes Arsenal suggestiver Methoden wird zur "Motivation"
eingesetzt. Die schlimmste "Strafe" ist heute, wenn einem Kind signalisiert wird,
es sei nicht "angepaßt" - oder indirekt formuliert: "auffällig".
Historisch betrachtet fand ein Übergang von der direkt angewendeten zur
anonymen Macht bereits in der Zeit des Umbruchs vom neunzenten zum
zwanzigsten Jahrhundert statt. (Unter diesem Gesichtspunkt waren die
"sozialistischen" Diktaturen Rückfälle ins neunzehnte Jahrhundert.) Er war
die notwendige Anpassung an die organisatorischen Bedürfnisse der
modernen Industriegesellschaft. Die Konzentration des Kapitals führt
tendentiell zur Bildung von immer größeren Unternehmen, die von hierarchisch
organisierten bürokratischen Apparaten geeitet werden. Diese gigantischen
Zusammenballungen von ArbeiterInnen und Führungspersonal halten eine
riesige Produktionsmaschinerie in Gang, die, wenn sie überhaupt funktionieren
soll, reibungslos und ununterbrochen laufen muß. Einzelne ArbeiterInnen,
ebenso wie Führungskräfte, werden so zu winzigen Rädchen in dieser
Maschine degradiert.
Das gleiche gilt für den Bereich des Verbrauchs: Auch hier können wir
angeblich eine freie Wahl treffen. Ob es sich nun um den Konsum von
Lebensmitteln, Textilien, Alkohol, Zigaretten, Konofilmen oder TV-Programmen
handelt, überall ist ein mächtiger Apparat am Werk, der durch Suggestion das
Verlangen der Menschen nach immer neuen Waren steigert und dieses
Verlangen so zu steuern sucht, daß es der Wirtschaft maximale Profite
bringt. Die Menschen werden zu KonsumentInnen und die Werbung zielt
geradezu darauf ab, uns auf die Stufe lallender Säuglinge regredieren
zu lassen.
Das kapitalistische Wirtschaftssystem benötigt Menschen, die den Geboten
gehorchen und widerspruchslos, ja begeistert mitmachen und immer mehr
konsumieren wollen - nicht müssen. Es muß Menschen schaffen, deren
Geschmack genormt ist, die sich leicht beeinflussen lassen und deren
Bedürfnisse im Voraus zu berechnen sind. Dieses System baut auf Menschen,
die glauben, sie seien frei und unabhängig, aber alles tun, was von ihnen
erwartet wird. Nur solche Menschen, die sich in die Gesellschaftsmaschinerie
reibungslos einfügen, die ohne Gewaltanwendung gelenkt, ohne erkennbare
Führer geführt und ohne Ziel dirigiert werden können - es sei denn, es "gut"
zu machen. Die Macht ist nicht verschwunden, sie hat auch nicht an Stärke
verloren; die offene Macht hat sich lediglich in die anonyme Macht der
Überredung und der Suggestion verwandelt.
Wesentlich für das reibungslose Funktionieren ist, daß die Menschen in der
Illusion leben, alles geschehe mit ihrer Einwilligung, obwohl diese Einwilligung
durch geschickte Manipulation erzwungen wird. Der Zwang erfolgt hinter dem
Rücken der Menschen, hinter ihrem Bewußtsein.
Nehmen wir einmal an, es gäbe vier Wochen lang weder TV, Radio oder Kino,
weder Sportveranstaltungen noch Zeitungen oder Internet. Welche Folgen
hätte dies für die Menschen, die auf sich selbst angewiesen wären, nachdem
ihnen so die Hauptfluchtwege verschlossen wären? Sicherlich würden
bereits innerhalb kürzester Zeit Tausende mit Nervenzusammenbruch
eingeliefert und außerdem Tausende mit akuten Angstzuständen, die
sich kaum von dem Bild unterscheiden würden, das klinisch als "Neurose"
diagnostiziert wird.
Diese wenigen Überlegungen können einen Ansatz bilden, sich klar zu
machen, daß die >Freiheit< in der heutigen kapitalistischen Gesellschaft
nichts als eine Chimäre ist. Um eine neue Gesellschaft aufbauen zu können,
die demokratisch und gerecht ist, muß die Funktionsweise der
kapitalistischen Gesellschaft genau verstanden werden, um so das
Wiederauferstehen der Macht verhindern zu können. Ohne die
grundlegende Bedeutung der Freiheit zu erkennen, besteht sogar die
Gefahr, daß bei einem Zusammenbruch des Kapitalismus Diktaturen
entstehen, die die zurückliegenden an Schrecken noch übertreffen
könnten.
Gruß
Peter
12.09.05
Ich habe keine Ahnung, wen ich wählen soll. Es ist zwar meine erste Bundestagswahl,
bei der ich wählen darf und ich interessiere mich schon seit Jahren für Politik, aber
ich kann mich mit keiner Partei identifizieren.
Der Wahlkampf ist zu einer Show heruntergekommen. Es wird viel geredet, aber ich habe den Eindruck,
es wird an den realen Problemen vorbei geredet. Zudem sind die Politiker nach der Wahl an keine
Aussagen gebunden.
Es werden Arbeitsplätze versprochen, aber zugleich sichern sie sich damit ab, sie hätten keine
"Patentrezepte". Ich glaube, sie wissen alle ganz genau, daß sie nicht einmal einen Ansatz haben,
wie der weitere Verlust von Arbeitsplätzen zu verhindern wäre. Ein Freund von mir hat gesagt,
daß es solange weiter geht, bis in Deutschland das Lohnniveau von China erreicht ist. Gerecht
wäre das ja. Und verhindert werden könnte diese Entwicklung nur, wenn sich weltweit alle
abhängig Beschäftigten zusammenschließen würden, um sich nicht weiter gegeneinander
ausspielen zu lassen. Ich bin sehr skeptisch, ob das funktionieren könnte. Es würde voraussetzen,
daß weltweit zugleich eine Demokratie entstünde...
freundliche Grüße
Annika
13.09.05
[Demokratie-Diskussion]
Hallo Leute!
Nachdem ich nochmals die Diskussionsbeiträge durchgelesen habe, die sich mit dem
Thema Demokratisierung der Wirtschaft befassen, ist mir folgendes durch den Kopf
gegangen: Es muß vielmehr ins öffentliche Bewußtsein transportiert werden, daß
eine Demokratie nicht funktionieren kann, wenn die, die mehr Macht haben, ihren
Einfluß auf Parlament und Parteien ausüben können. Wenn ich Menschen auf der
Straße oder im Café darauf anspreche, widersprechen die meisten gar nicht. Aber
so richtig klar ist es ihnen dennoch nicht. Würde ich sie fünf Minuten später
nochmals ansprechen und sie fragen, ob wir eigentlich in einer Demokratie
leben, würden sie ohne zu Zögern mit "Ja" antworten. So tief sitzt das seit der
Schulzeit oder bei denen im Osten seit der Wende in den Köpfen drin. Und es
wird uns ja Tag für Tag aufs neue eingehämmert. Deshalb finde ich diesen
Wahlboykott so wichtig. Eigentlich müßten wir uns alle fest vornehmen, immer
wieder auch öffentlich hinzustehen und zu sagen: Das was wir hier haben ist
zwar besser als eine Diktatur, und es ist wichtig, daß wir unsere Meinung sagen
können, ohne gleich eingesperrt zu werden - aber eine Demokratie ist das noch
lange nicht.
Ich mache mir da keine Illusionen, daß es einfach wäre, gegen die dauernde
Mediengehirnwäsche anzukommen. Aber vielleicht setzt sich diese Erkenntnis
doch allmählich durch. Denn es ist ja nicht nur eine abstrakte Erkenntnis.
Täglich erfahren es die Menschen mehrheitlich doch immer wieder aufs neue,
daß sie politisch nichts zu sagen haben und daß nur für die Interessen der
Wirtschaft regiert wird, ob unter Rot-Grün oder Schwarz-Gelb oder möglicherweise
nun bald unter einer großen Koalition.
Wenn diese illusionslose Sicht der Dinge sich mehr und mehr verbreitet, werden
vielleicht öfter Gelegenheiten ergriffen, Firmen in Selbstverwaltung zu
übernehmen. Oft genug kommt solch eine Altenative der Belegschaft ja gar
nicht in den Sinn. Und von den Gewerkschaften kommt da auch keinerlei
Rückenwind. Ich möchte mal wissen, was eigentlich aus alten Gewerkschaftern
wie Franz Fabian geworden ist und ob in den Gewerkschaften heute überhaupt
noch weiß, wer das war.
Und wenn so etwas öfter vorkommt, wird es auch mehr im öffentlichen Bewußtsein
wahrgenommen. Wenn es mehr selbstverwaltete Firmen gibt, werden diese sich
auch leichter vernetzen lassen. Dann kommt in diese Sache endlich mehr in
Fahrt.
Solidarische Grüße
Manuela
13.09.05
"Wer wählt, hat seine Stimme abgegeben", war mal so ein Grafittispruch in den
80er Jahren. Das war schon damals ziemlich sinnlos. Auch wenn ich zur Wahl
gehe, kann ich hinterher die Gewählten kritisieren - genauso wie wenn ich nicht
hingegangen wäre. Deshalb ist auch der Spruch "Nur wer wählt, darf hinterher
kritisieren" genau so blödsinnig.
Und wer mehr Einflß haben will, soll halt Mitglied in einer Partei werden.
Bei Wahlenthaltung und Boykott sehe ich die Gefahr, daß die Rechten
dennoch wählen und die Mehrheit das dann büßen muß. Da versuche ich
lieber, mit meiner Stimme das zu verhindern. Und da hilft es halt nur, das
kleinere Übel, also Rot-Grün zu wählen. Denn mit der Wahl der Linkspartei
gehst du auch das Risiko ein, daß Schwarz-Gelb die mehrheit hat.
Vom Bruch des Grundgesetzes zu reden, halte ich ebenso völlig daneben.
Schließlich fiel die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts recht
eindeutig mit sieben zu eins. Der Handlungsspielraum der Bundesregierung
war doch wirklich sehr eingeschränkt durch die Blockade des Bundesrates.
Na ja, Schröder hat das sicher ein bißchen dramatisiert.
Ich bin überzeugt davon, daß Schröder, wenn er wieder dran kommt,
nun auch die Besserverdienenden rannimmt. Dazu muß sicherlich
auch Druck von links kommen. So gesehen ist die Gründung der
Linkspartei nicht schlecht. Nach der Bundestagswahl wäre allerdings
besser gewesen, da sie so eben Rot-Grün die nötigen Stimmen kosten
kann. Ebenso wie Wahlboykott oder Nichtwählen.
Und dann kommt Merkel dran. Dann Gut Nacht.
MfG
Richard
14.09.05
Hier ein immer noch aktueller Anzeigentext:
KEINE STIMME FÜR "REALPOLITIK" !
"Realpolitik" heißt:
- Regierungsfähigkeit'
als Maß aller Inhalte, Mangel an Abstand gegenüber der Eigendynamik der Regierungsbeteiligung.
“Wer Anpassungszwängen taktisch nachgibt (...), wird nach und nach die Unzumutbarkeit
von Anpassungsforderungen gar nicht mehr wahrnehmen, das heißt die eigene Gefügigkeit
auch nicht mehr als Fluchtreaktion durchschauen. Alles erscheint normal: die Verhältnisse,
denen er sich ergibt, und der Verzicht auf Gegenwehr, den er eben gar nicht als Verzicht
erlebt”
(H.-E. Richter).
- Fixierung
auf allenfalls kurzfristig 'funktionierende' 'Lösungen' und
auf 'Nothilfe', die mit den herrschaftsimmanenten Mitteln
(z.B. Militär, 'law and order'-Vorgehen) nur die Not fortzeugt, gegen die sie 'helfen' soll;
- Verantwortungsübernahme
für die immanenten Notwendigkeiten eines Gemeinwesens
(z.B. 'Sparpolitik')
und Kritiklosigkeit gegenüber dessen Strukturen.
Selbstangleichung an die Zugzwänge herrschender Politik: Beim Kosovokrieg bspw.
stand nicht die Kritik an fehlender ziviler und sozialer Konfliktprävention und an
konfliktfördernder Politik der Vorgängerregierung und der Alliierten im Vordergrund.
Stattdessen (unter Abstraktion von der Vorgeschichte) Unterstützung eines Krieges,
weil man nun 'keine Alternative' sieht und (dieser Logik nach dann übrigens auch:
andernorts) 'nicht aussteigen' kann.
- die Konkurrenz
um besssere oder schlechtere Politikverwaltung zum eigenen Hauptanliegen geraten zu
lassen und sich in den entsprechenden partikularen Auseinandersetzungen zu verzetteln
und zu verschleissen. R. Künast ist in bezug auf Schlagfertigkeit und Inhaltslosigkeit zu
Recht grüne Spitze(nkandidatin).
- den Gegensatz
der eigenen Ziele zu zentralen ökonomischen Strukturen nicht wahrzunehmen. Den Pelz
waschen wollen, ohne ihn naßzumachen. Als ob die Mehrheit der
Kapitale Profit mit umweltverträglichen Produkten machen könnte, wird Ökologie zur
Zukunft kapitalistischer Ökonomie stilisiert und sich selbst die Zähmung des Tigers
zum Vegetarier zugetraut.
- die Fortsetzung
des Bestehenden als seine Veränderung oder als Alternative zu ihm schönzureden
(z.B. 'Fischerplan'). So wurde (unbeschadet auch des eigenen Gemetzels in Jugoslawien)
von Menschenrechten gesprochen, als seien sie der Grund, und nicht vielmehr nur der
Anlaß (für andere mit dem NATOkrieg verfolgte Zwecke);
- der Logik
des vermeintlich kleineren Übels zu verfallen: Irgendein Schaden findet sich immer,
verglichen mit dem das eigene Tun als minder schlimm erscheint. Mit solcher
Vergleicherei wird die bitter not-wendige Veränderung zentraler Gesellschaftsstrukturen
nicht mehr Thema.
- Handeln
als Beweis von "Handlungsfähigkeit" wahrzunehmen.
Per Lob der Geschäftigkeit läßt sich vom Inhalt des Tuns absehen:
Wenn man nichts als Benzin zur Hand hat, soll auch dies als Löschmittel gelten.
- die grundlegenden
(ins Unscharfe aufgelösten) Ziele beizubehalten für Sonntagsreden, während am Werktag
die Politik im Vergleich zur Konkurrenz so gleich wie möglich (wg. 'Machbarkeit') und
so verschieden wie nötig (wg. 'Profilierung') ausfallen soll;
- die Identifizierung
mit der Macht aus der Vorstellung heraus, die Besetzung von Machtpositionen ohne
Entfaltung von gesellschaftlichem Druck und Gegenmacht sei bereits hinreichende
Voraussetzung für problemadäquate Veränderungen.
Schönen Gruß
Meinhard
14.09.05
@Richard
Um nur mal auf einen Punkt einzugehen:
Von einer Blockadepolitik im Bundesrat zu schreiben, ist doch völliger Nonsens. Merkel hat ja selbst
einmal in einem Zeitungsinterview zugegeben, daß die Unionsregierungen mit wenigen Ausnahmen
alle Gesetze nach geringfügigen Änderungen durchgehen hat lassen. Mit der Politik Lafontaines
in der Endphase der Kohlregierung ist das nun - bei allem linkes Auge zudrücken - nicht
vergleichbar. Dazu muß doch allen klar sein, daß die Kompromisse in den Ausschüssen und
in der Lobby vorher bereits so ausgehandelt wurden, daß exakt das "hinten heraus kommt"
(Zitat Helmut Kohl), was die Wirtschaft an Vorgaben hereingereicht hatte.
nehmen wir doch nur mal das beispiel "Atomausstieg". Eine ähnlich optimale Bestandsgarantie für
unbefristeten Betrieb der AKW hätte eine schwarz-gelbe Regierung gar nicht liefern können. Kein
Wunder, wenn RWE, E.ON, EnBW und Vattenfall den Unionsdeppen nun ein Schweigegelübde
im Wahlkampf auferlegt haben, doch bitteschön mit der sinnlosen Anbiederei aufzuhören, sie
wollten die eh schon unbefristeten laufzeiten verlängern.
tschau
Kathrin
14.09.05
@Richard
Das ist doch schlichter Wunderglaube, anzunehmen, daß Schröder nach der Wahl - so denn
erneut Bundeskanzler - zur Abwechslung mal die "Besserverdienenden rannimmt".
Thorben
15.09.05
[Demokratie-Diskussion]
Hallo Leute
Heute kommt ein interessanter Artikel zum 20. Todestag von Wolfgang Abendroth in der 'Jungen Welt'.
Zentral aus meiner Sicht:
Abendroth setzte auf eine Demokratisierung der Wirtschaft von
unten. Dies überhaupt zu ermöglichen, war für den Marxisten eine
zentrale Aufgabe von Genossenschaften, Gewerkschaften und
Parteien als Schulen der demokratischen Selbstverwaltung. (...) Das Prinzip der
Demokratie mußte für ihn zum Prinzip der Gesamtgesellschaft
werden.
Typischerweise wird allerdings seine Kritik an der DDR, die er als Diktatur bezeichnete, nur verschämt
angedeutet. Traurig, daß dieser unabhängige Marxist, dem es als einzigem gelungen war, im
Nachkriegsdeutschland einen Lehrstuhl zu bekommen, heute fast vergessen ist. Nur eines seiner
Bücher wird noch aufgelegt. Alle anderen sind nur noch antiquarisch oder in Uni-Bibliotheken
zu bekommen.
Wolfgang Abendroth war ein dezidierter Kritiker des sozialpartnerschaftlichen Kurses der SPD nach
Godesberg. Bis zu seiner
Emeritierung 1972 lehrte er in Marburg Politikwissenschaft und
galt als einer der geistigen Väter der Neuen Linken und der "68er" Studentenbewegung.
Ciao
Uta
15.09.05
>Sind alle Grün-WählerInnen doof wie Nina?<
Hi!
Habt ihr die Auseinandersetzung von Jutta Ditfurth und Nina Hagen letzte Woche bei Maischberger
und die darauf folgende Medienausschlachterei mitverfolgt? Typisch dabei ist, daß der zentrale
Punkt völlig ausgeblendet wurde: Nina Hagen - als Vertreterin der Grünen bei Maischberger - blamierte
sich in der Diskussion damit, daß sie nicht mal wußte, wer 1999 beim Kosovo-Krieg in Deutschland
an der Regierung war. Leider trug auch Jutta Ditfurth dazu bei, daß dies hinter dem Lärmvorhang
eines "Zickenkriegs" verschwand. Ich verstehe nicht, warum sich Jutta derart in den Nebenschauplatz
Esoterik verbissen hat und mit solcher Wut auf dem intellektuell winzigen Würmchen Nina herumtrampeln
mußte.
Ich gebe das Wortgefecht zwischen Jutta und Nina hier mal einigermaßen vollständig wieder - so wie es
aus verschiedenen Quellen zu rekonstruieren ist. Bezeichnender Weise wurde in den meisten Medien die
ersten beiden Wortwechsel unterschlagen:
Nina Hagen:
»Mit Merkel will der Staat Kriege machen, ohne Merkel nicht.«
Jutta Ditfurth (süffisant):
»In Jugoslawien 1999 war Merkel? Das wußte ich noch gar nicht.«
Nina Hagen (ungläubig):
»Wie? Wir sind in den Krieg gezogen, meine Soldaten?«
Jutta Ditfurth (sarkastisch):
»Da warst du wohl im Ashram …«
Nina Hagen (beleidigt):
»Das find ich gemein, Jutta. Ich find das total daneben,
was du jetzt sagst.«
Jutta Ditfurth (eiskalt):
»Ich halte dich für esoterisch ein bißchen durchgeknallt.«
Nina Hagen (laut, aggressiv):
»Du kennst mich doch überhaupt nicht! Wie kannst du
dich über mich äußern? Über meine Religion und
Philosophie? Das ist ein Armutszeugnis!«
(weiter, zur Moderatorin Maischberger):
»Ich finde es furchtbar, was diese dicke Frau da mit mir
macht!«
Jutta Ditfurth (belustigt):
»Du hast auch schon Ufos und Außerirdische gesehen.«
Nina Hagen (kreischend):
»Jutta Ditfurth ist eine blöde, blöde Kuh. Mit dir werde ich
nie wieder reden.«
u.s.w.
Daß Nina Hagen hier gar nicht mal so untypisch für durchschnittliche
Grünen-WählerInnen ist, fällt dabei unter den Tisch. Ich möchte
behaupten, bei einer Umfrage käme zutage, daß die Mehrheit - gleich welcher Partei -
heute nicht mehr weiß, unter welcher Regierung Deutschland in die
ersten beiden Kriegbeteiligungen nach dem Zweiten Weltkrieg
geführt wurde.
Kai
15.09.05
[Demokratie-Diskussion]
Hallo Leute!
Oft wird ja behauptet, die Bevölkerung sei viel zu doof, um überhaupt politisch
mitentscheiden zu können. Demokratie im eigentlichen Sinne sei also gar nicht
möglich, sondern sogar gefährlich. Dies wird in verschiedenen Variationen
auch ganz offen an Universitäten in Politologie gelehrt.
Schön, daß heute manche sich an Wolfgang Abendroth erinnern. Ich möchte
hier mal einen anderen bedeutenden Wissenschaftler aus der gleichen
Generation zitieren, der die These belegt, daß nicht die Menschen zu dumm
für die Demokratie sind, sondern daß das heutige, als demokratisch angepriesene
System die Menschen verdummt:
"Normalerweise nehmen die großen politischen Fragen im Seelenhaushalt
des Durhschnittsbürgers einen ähnlichen Platz ein wie seine Freizeitinteressen,
die noch nicht den Rang eines Hobbys erreicht haben, und wie unverbindliche
Themen der Unterhaltung. All diese Dinge liegen irgendwie in weiter Ferne; sie
sind etwas ganz anderes als zum Beispiel geschäftliche Überlegungen. Die
Gefahren brauchen ja nicht Wirklichkeit zu werden, und wenn sie es doch tun
sollten, können sie sich als halb so schlimm herausstellen. Man hat das
Gefühl, sich in einer fiktiven Welt zu bewegen.
Dieses reduzierte Realitätsgefühl hat nicht nur ein vermindertes
Verantwortungsgefühl zur Folge, sondern ist auch schuld daran, daß man seinen
Willen nicht durchsetzt. Man verfügt natürlich über bestimmte Redensarten und
hat seine Wünsche und Tagträume und auch seinen Ärger; besonders hat man
seine Vorlieben und Abneigungen. Aber meistens kommt es dabei nicht zu dem,
was wir als Willen bezeichnen - dem psychischen Gegenstück zu einem
zielgerichteten , verantwortungsbewußten Handeln. Wenn der private Bürger
tatsächlich einmal über die nationalen Angelegenheiten nachdenkt, so sind
diese außerhalb der Reichweite seines Willens, und es gibt auch keine Aufgaben,
an denen sich dieser entfalten könnte. Er ist Mitglied eines arbeitsunfähigen
Komitees, des Komitees der gesamten Nation, und aus diesem Grund verwendet
er weniger disziplinierte Anstrengung auf die Lösung politischer Probleme, als
er auf eine Partie Bridge zu verwenden pflegt.
Das reduzierte Verantwortungsgefühl und das Fehlen eines festen Willens
erklärt wiederum die Unwissenheit und mangelnde Urteilsfähigkeit des
Durchschnittsbürgers in Bezug auf Fragen der Innen- und Außenpolitik,
was bei gebildeten Menschen und bei solchen, die in den nichtpolitischen
Lebensbereichen aktiv und erfolgreich sind, noch unverständlicher ist als
bei ungebildeten Menschen, die in bescheidenen Verhältnissen leben.
Und wir brauchen uns auch nicht weiter darüber zu wundern. Wir brauchen
nur einmal die Haltung eines Rechtsanwalts bei einem seiner Prozesse und
bei der Darstellung politischer Ereignisse in seiner Zeitung miteinander zu
vergleichen, um zu sehen, wie die Dinge liegen. Im einen Fall hat der
Rechtsanwaltsich in jahrelanger zielstrebiger Arbeit, angetrieben von seinem
Streben nach beruflichem Erfolg, dafür qualifiziert, die Bedeutung der
Gegebenheiten richtig einzuschätzen, und unter einem nicht weniger
mächtigen Antrieb setzt er jetzt seine erworbenen Kenntnisse, seinen
Verstand und seinen Willen für den ihm anvertrauten Prozeß ein. Im
anderen Fall hat er sich nicht die Mühe gemacht, die nötigen Kenntnisse
zu erwerben; es liegt ihm nichts daran, sich zu qualifizieren; er macht sich
nicht die Mühe, die Informationen in sich aufzunehmen, um sie einer
kritischen Überprüfung zu unterziehen, was er doch so vorzüglich
versteht, und ein langes kompliziertes Argumentieren macht ihn
ungeduldig. All das beweist, daß man ohne die Initiative, welche einer
unmittelbaren Verantwortung entspringt, trotz massenweise zur
Verfügung stehender Information nicht im Bilde ist, so vollständig und
korrekt die Informationen auch sein mögen. (...)
So kommt es, daß der typische Bürger auf ein niedrigeres geistiges
Niveau herabsinkt, sobald er sich auf das politische Gebiet
begibt. Er argumentiert und analysiert dann in einer Art, die er auf
seinem eigentlichen Interessengebiet als Kindisch bezeichnen
würde. Er wird wieder zum Primitiven.
(J. A. Schumpeter, 1962)
Da politisches Bewußtsein sich nur durch politisches Handeln
entwickeln kann und ein politisches Handeln in Parteien nur
simuliert wird, bleibt uns nichts anderes übrig, als uns unabhängig,
in Bürgerinitiativen und ähnlichem politisch zu engagieren, um
politisch zu werden. Und auch nur so wird es möglich sein trotz
der bestehenden "Demokratie" eine Demokratie aufzubauen.
Tschüss
Astrid
16.09.05
hallo!
ich habe jahrelang die wahlen boykottiert,
habe mich dann bei der ersten gesamtdeutschen wahl von rio reiser
überzeugen lassen,
"gysi zu wählen, um kohl zu ärgern" ...
ich werde auch diese wahl wieder mitspielen - nicht weil mich die
programme der linkspartei oder der grünen
überzeugen, oder weil ich daran glaube, daß die partei meine interessen
vertritt - ich glaube, eine opposition zur großen koalition ist wichtig.
der wahltag ist nur ein tag im jahr, und das wichtigste ist, jeden tag
seine stimme zu erheben, an der gestaltung und veränderung dieser
gesellschaft mitzuwirken.
WÄHLEN HILFT NIX - NICHTWÄHLEN GENAUSOWENIG
Mirko
16.09.05
Hallo Mirko, hallo Leute!
Es ist nicht nur wichtig, 365 Tage im Jahr seine Stimme zu "erheben" - da stimmen
wir mit Dir überein; es ist allerdings noch wichtiger, jeden Tag politisch aktiv zu
sein.
Mich würde mal interessieren, welches Argument von Rio Reise Dich damals
überzeugt hat. Oder ist es ein ausreichender Grund, irgendetwas zu tun, wenn
dabei die vage Hoffnung besteht, irgendeinen Büttel der Mächtigen ein
bißchen zu ärgern? Ich vermute mal, Rio Reiser hatte kein vernünftiges
Argument. Leider war der Sänger von 'Ton Steine Scherben' zu jener Zeit
psychisch schon so lädiert wie Nina Hagen heute. Deren politische
Phase war längst vorüber und solche Schreckschrauben wie Claudia Roth
schwirrten damals um sie herum...
Mir scheint auch, daß Du Dich nicht damit beschäftigt hast, welche Ziele
wir mit unserem Wahlboykott verfolgen. Gegenargumente sind auf dieser
Diskussionsseite immer willkommen!
Du behauptest nur pauschal, eine Opposition im Bundestag sei wichtig.
Welche Argumente sprechen aus Deiner Sicht dafür? Ebenso unbegründet
stellst Du die Behauptung in den Raum, Nichtwählen helfe genauso
wenig wie wählen. Mal ganz abgesehen davon, daß Du Dir selbst
widersprichst, wenn Du einerseits behauptest, eine Opposition zur
großen Koalition im Bundestag sei wichtig - und zugleich - "wählen
hilft nix" - - Du stellst einfach nur Thesen in den Raum, ohne sie zu
begründen.
solidarische Grüße
Ute
16.09.05
Sehr geehrter Herr Schramm,
(...)
An einem kommen Sie aber meiner Meinung nach nicht vorbei.
Stellen Sie sich vor, alle würden Ihrem Wahlboykott folgen.
Die DVU- und NPD-Wähler gehen aber zur Wahl.
Und jetzt sagen Sie bestimmt, Wahlboykott machen ja nicht alle.
Aber wenn ihr Handeln beispielhaft sein soll, dann sollten doch
alle die Wahl boykottieren und zu was würde das führen, wenn
fast alle so handeln würden wie Sie?
Mit freundlichen Grüßen
Sebastian ...
16.09.05
Hallo Sebastian ...!
Vielen Dank zuerst mal für Ihr Interesse und Ihren Diskussionsbeitrag.
Wir nehmen dieses Argument sehr ernst. Das sehen Sie beispielsweise
daran, daß wir auf zwei ähnliche Diskussionsbeiträge auf der Forum-
Seite von www.wahlboykott2005.de ausführlich geantwortet haben.
Hier nun speziell zu Ihrem Argument:
Es wäre sicherlich unrealistisch anzunehmen, unsere Wahlboykott-
Initiative hätte von heute auf morgen einen so riesigen Erfolg, daß
hunderttausende sich beteiligen und es so zu der von Ihnen beschriebenen
Verschiebung bei dieser oder der nächsten Bundestagswahl kommen
könnte. Betrachten wir also eine zeitliche Entwicklung über mehrere
Jahre hinweg (wir werden auch bei den kommenden Landtagswahlen
in verschiedenen Bundesländern mit speziellen Wahlboykott-
Aufrufen in den Wahlkampf eingreifen), so ist ein wachsender
Erfolg unserer Wahlboykott-Aufrufe notwendiger Weise mit zwei
Bedingungen verknüpft:
1. Immer mehr Menschen werden sich darüber klar, daß es sich bei
diesem parlamentarische System nicht um eine wirkliche Demokratie
handelt.
2. Immer mehr Menschen werden sich dafür einsetzen, daß eine
wirkliche Demokratie gewaltfrei aufgebaut wird. Dies kann
beispielsweise dadurch erreicht werden, indem mehr und mehr
Betriebe und Konzerne in die Hände der Belegschaft übergehen
und selbstverwaltet werden.
Selbst einmal den schlimmsten Fall vorausgesetzt (worst case scenario),
daß die rechten und rechtsextremen Kräfte Zulauf haben und über
scheindemokratische Wahlen, an denen sich immer weniger Menschen
beteiligen, die Macht zu ergreifen versuchen. Nur auf dem Wege, daß
insgesamt in dieser Gesellschaft das demokratische Bewußtsein
auf breiter Basis wächst und sich immer mehr Menschen politisch
engagieren, kann dem überhaupt etwas entgegen gesetzt werden.
Interessant sind hier beispielsweise die Konzepte zur gewaltfreien
sozialen Verteidigung gegen einen inneren oder äußeren Aggressor.
(Zum Thema "soziale Verteidigung" finden Sie viele interessante
Beiträge im Internet).
Geht die Entwicklung jedoch weiter in die bisher zu beobachtende
Richtung, daß immer mehr Menschen sich angeekelt von "der"
Politik abwenden, weil sie Politik - wie in den Mainstreammedien
vorgegeben - ausschließlich mit Parteien-Politik gleichsetzen
und wird das repräsentative parlamentarische System von
brachialen PolitikerInnen vom Schlage eines Gerhard Schröder,
der sich ums Grundgesetz einen feuchten Kehricht schert, weiter
demontiert, wird den Rechtsextremen ähnlich wie in der Zeit zu
Ende der Weimarer Republik gerade in die Hände gespielt.
Wir setzen alles daran, unsere Wahlboykott-Initiative mit einem
konstruktiven Moment zu verknüpfen. Wie Sie an der Diskussion
auf diesem Internet-Forum sehen können, hat sich eine lebhafte
Debatte darüber entwickelt, wie eine wirkliche Demokratie
aufgebaut werden kann. Nur wenn eine solche positive
Perspektive entwickelt wird, haben wir die Chance, daß sich
die Menschen für Demokratie begeistern und daß die heute weit verbreitete
Lethargie und politische Apathie überwunden wird.
Mit freundlichen Grüßen
Klaus Schramm
16.09.05
Liebe Leute,
ich unterstütze den Wahlboykott, da ich mir sinnvolle Alternativen zum Parlamentarismus vorstellen kann.
Mir sind klare inhaltliche Zielsetzungen für eine alternative Programmatik wichtig, z.B.:
- Abschaffung von Bundeswehr und EU-Armee
- stattdessen ausschließlich zivile, gewaltfreie Konfliktbearbeitung
- sofortiges Verbot von Rüstungsproduktion und Rüstungsexporten
- Abrüstung aller Atomwaffen (zuerst aus der Bundesrepublik)
- sofortiger Ausstieg aus der Atomkraft
- Vorrang für Energiesparmaßnahmen und den Ausbau regenerativer Energiequellen
- Vorrang von Öffentlichen Verkehrsmitteln, Fahrrad, FußgängerInnen vor Autoverkehr
- sofortiger Ausstieg aus der Gentechnik
- gerechte Alternativen zu Hartz IV
- sofortiges Verbot von Tiertransporten und Massentierhaltung (Eigentlich fände ich es am
besten, wenn sich alle Menschen vegetarisch oder vegan ernähren würden, aber ich will
niemandem die Ernährung vorschreiben.)
- Gleichberechtigung aller einvernehmlichen Lebens- und Beziehungsformen, egal ob Mann-Mann,
Frau-Frau, Frau-Mann, gleichaltrig oder altersungleich, verheiratet, verpartnert, ledig,
geschieden oder alleinstehend.
Daraus können noch konkretere Zielsetzungen, Kampagnen, Aktionen und Wege entwickelt werden, um
diese Ziele zu erreichen. Viele Kampagnen davon gibt es ja schon v.a. in der Friedensbewegung,
Ökologiebewegung und anderen sozialen Bewegungen.
Und es geht nicht darum, das alles von PolitikerInnen zu fordern, sondern sich selbst dafür
einzusetzen und dementsprechend zu leben.
Viele Grüße
Achim
Der Gewalt muss abgeschworen werden, denn das Gute, das sie scheinbar erreichen kann, ist
bloßer Schein, während der von ihr angerichtete Schaden von Dauer ist.
Mahatma Gandhi
17.09.05
Ich finde eure Initiative sehr wichtig, weiß aber noch nicht so
recht, wohin das führen soll. Auf jeden Fall aber muß einmal
die Zeit der Vergangenheit angehören, in der wir bereit waren,
jeden falschen Kompromiss als kleineres Übel hinzunehmen.
Ich kann einfach
nicht weiter Parteien wählen, nur weil sie Dinge versprechen,
die so annähernd meinen Vorstellungen entsprechen, die aber
in den letzten sieben Jahren gerade das Gegenteil von dem,
was sie versprechen, getan haben. Ich kann auch nicht mehr
daran glauben, daß in den nächsten vier Jahren ein realer
Atomausstieg kommen wird. Irgendwann kommt für jeden
mal der Zeitpunkt, an dem du dich restlos verarscht fühlst -
für die einen früher, für die anderen später...
Es wäre sowas wie eine kleine Revolution, wenn die Politiker
in Deutschland von weniger als der Hälfte der Wahlberechtigten
gewählt würden - das ist kein Vergleich zu den USA, wo die
breite Masse eh schon lange nicht mehr dran glaubt, daß sie
Demokratie hätten. Hier in Deutschland aber sind die Menschen
organisiert, es gibt noch halbwegs starke Gewerkschaften,
anders als in den USA und Großbritannien, und wenn die
Mehrheit hier in Deutschland merkt, daß wir keine Demokratie
haben, wird hier ganz schön was los sein - anders als in den
USA!
Dazu brauchen die deutschen Politiker immer noch die Legitimation
für ihre Sauereien, daß sie sich darauf berufen können, von einer
Mehrheit "demokratisch" gewählt zu sein. Das, und das Stillhalten
der Gewerkschaften, hat letzten Herbst auch die
Montagsdemonstrationen wieder abgewürgt. Aber das können
die nicht beliebig oft wiederholen - zugleich aber sind sie gezwungen,
als Regierung den weiteren Sozialabbau voranzutreiben.
Er wäre zumindest ein Riesenspaß, die Parteipolitiker zu sehen,
wenn die Wahlbeteiligungen weiter und weiter sinken. Sie kämen
dann nicht mehr an der Frage vorbei: Was ist der Grund für die
Verweigerung? Müssen wir uns ein neues Volk wählen?
Silke
17.09.05
Lieber Leute vom Wahlboykott,
was ich auf der Homepage als Gründe für einen Wahlboykott wiederfinde, ist ein Sammelsurium von
sicherlich meist richtigen Fakten, die aber niemals zu diesem Ergebnis eines Wahlboykotts führen
können. Die CDU als stärkste Partei lacht sich doch einen Ast über die Leute, die nicht Ihre
Minimalchance wahrnehmen.
Ich habe so viel Phantasie und Vorstellungskraft, dass ich aus den deutlichen Ankündigungen von
Merkel den Unterschied schon im voraus kenne. Die Verlängerung der Laufzeiten von Atomkraftwerken
verursacht mehr Atommüll, mehr Transportbehälter und mehr Transporte. Warum also auf den
Vergleich hoffen und dann hinterher mit viel Aufwand die Transportbehälter versuchen zu blockieren?
Ein Nichtwähler wirft den Einfluss weg, der ihm in der Demokratie gegeben ist, hält er diesen auch für
gering. Ein Nichtwähler, der eigentlich gegen mehr Atommüll ist, macht sich der unterlassenen
Hilfeleistung schuldig, indem er nicht wenigstens versucht, den Atommüll zu minimieren.
Wer erklärt mir eigentlich mal, was z.B. die 50 % Nichtwähler bei der Bürgermeisterwahl in
Emmendingen zu Stande gebracht haben, indem nun der farblose Schlatterer, anstatt der grüne
Kreuz OB in Emmendingen ist? Wenige Stimmen der phantasielosen Nichtwähler haben dies in
Emmendingen "verursacht".
Ein Nichtwähler stützt immer diejenige Partei, die die meisten Stimmen bekommt. Das heißt er
verantwortet damit das Ergebnis der stärksten Partei (in letzter Zeit meist die CDU). Wenn dies
zufällig mit seiner Meinung übereinstimmt, dann passt es. Stimmt seine Auffassung aber z.B.
nicht mit der CDU überein, könnte er die andere Parteien stärker machen und wenn es reicht,
die Mehrheitspartei verhindern. Ich halte nichts von unterlassender Hilfeleistung.
Grüße Klaus Bindner
17.09.05
Sehr geehrter Herr Bindner!
Wir finden es recht merkwürdig, daß Sie hier versuchen, für "Rot-Grün" Wahlwerbung zu machen,
ohne auf irgendwelche Fakten einzugehen. Klaus Schramm hat uns die umfangreiche private
Korrespondenz vorgelegt, die Sie mit ihm in den letzten Wochen führten...
Wir wären durchaus daran interessiert, von Ihnen zu erfahren, wie Sie Ihre These begründen wollen,
daß eine Verlängerung der "rot-grünen" Politik eine "Hilfe" wäre - denn Sie schreiben ja von
"unterlassener Hilfeleistung". Wenn Sie wenigstens begründen könnten, warum "Rot-Grün"
das kleinere Übel sei...
Sie schreiben, Ihre "Phantasie und Vorstellungskraft" gebe Ihnen ein, unter einer Kanzlerin
Merkel würden die Laufzeiten der Atomkraftwerke verlängert. Tatsache ist, daß in sieben Jahren
"rot-grüner" Bundesregierung kein Atomausstieg stattgefunden hat, daß die Betreiberkonzerne
mit dem Atomkonsens eine Bestandsgarantie erhielten, wie sie sich keine bessere wünschen
konnten und daß sich die Situation gegenüber 1998 drastisch verschlechtert hat: Stichworte
Gronau und Garching. Sie dürfen ja gerne glauben, daß der Atomausstieg bei einer Fortsetzung
der "rot-grünen" Regierung in den nächsten vier Jahren oder wann auch immer käme, und es
hindert Sie auch niemand daran, entsprechend diesem Glauben zu wählen - aber erwarten sie
diese Festigkeit im Glauben doch bitte nicht von anderen Menschen. Denn um mehr als Glauben
handelt es sich nicht, solange Sie die Fakten ausblenden.
Der (deutsche) Volksmund sagt: "Wer einmal lügt, dem glaub ich nicht!" - Sie scheinen sich nach dem
Motto zu richten: "Wer sieben Jahre lang lügt, den wähle ich gerne!"
Zu Ihrer mit enttäuschtem Grundton wiedergegebenen Bemerkung über eine Bürgermeisterwahl
im baden-württembergischen Emmendingen, möchte ich anmerken, daß es sich dabei um etwas
grundsätzlich anderes als eine Bundestagswahl handelt. Uns ist durchaus klar, daß es sich bei
Menschen an der Basis der "grünen" Partei immer noch gelegentlich um IdealistInnen handelt,
die wir nicht mit den Gaunern, die die "Grünen" führen, in einen Sack stecken wollen. Ob es
sich bei Herrn Kreuz um einen glaubwürdigen Vertreter originär grüner Politik trotz seines
Parteibuches handelt, sei dahingestellt - das können und konnten die Menschen in
einer mittelgroßen Stadt wie Emmendingen sicherlich besser beurteilen. Daß sich die
Menschen bei der Wahl eines "Grünen" allerdings auch heftig vertun können, zeigt das
Beispiel der nur fünfzehn Kilometer von Emmendingen entfernten Stadt Freiburg... Im
übrigen ist zu berücksichtigen, daß einE BürgermeisterIn in Baden-Württemberg im Vergleich
zu den meisten anderen Bundesländern eine außerordentlich starke politische Position
besitzt und tatsächlich - im Rahmen der durch die Kommunalpolitik gesetzten Grenzen -
erheblichen Gestaltungsspielraum besitzt. Darüber, warum die Wahlbeteiligung - im Vergleich
zu anderen Bürgermeisterwahlen - in Emmendingen recht gering war, ließe sich von hier aus
nur spekulieren. Es wird auch von unserer Seite nicht bestritten, daß ein großer Teil der
Wahlberechtigten aus politischer Apathie nicht zur Wahl geht. Dies liegt jedoch - wie Sie
beispielsweise dem vorgestern hier wiedergegebenen Text von J. A. Schumpeter entnehmen
können, gerade daran, daß die Menschen - wenn auch mehr oder weniger unbewußt -
wahrnehmen, daß sie nicht in einer Demokratie leben und ihre Möglichkeiten, auf
reale Entscheidungen Einfluß zu nehmen, in der Regel gleich Null sind.
Im Abschnitt Ihres Emails über Emmendingen setzen Sie "verursacht" selbst in Anführungszeichen.
Im darauffolgenden Abschnitt jedoch tun Sie so, als gäbe es eine direkt causale Verbindung.
Um behaupten zu können, bei einem politischen Wahlboykott handele es sich um
"unterlassener Hilfeleistung", unterstellen Sie wieder unausgesprochen, es gäbe
einen Unterschied im Kurs von "Rot-Grün" und "Schwarz-Gelb". Sie irgnorieren
dabei beispielsweise die Ihnen vorgelegten Zahlen über die Zuwachsraten der
erneuerbaren Energien vor 1998 und nach 1998...
Zudem argumentieren Sie in der Art der "Gesinnungsprüfer", die Kriegsdienstverweigerer
beispielsweise vor die Frage stellten: "Wie reagieren sie, wenn sie mit ihrer Freundin im
Wald von Vergewaltigern überfallen werden und sie haben zufällig eine Waffe in der Hand?"
Ich bin hierauf bereits in einem Diskussionsbeitrag am 17.08. ausführlich eingegangen.
Wer sich dafür interessiert, kann es leicht auf diesen Forumsseiten finden.
Wer wählt, wählt "Rot-Schwarz-Grün-Gelb". Denn auch wer die "Linkspartei" oder irgendeine
der übrigen Parteien wählt, bestätigt damit als "demokratisches" Wahlergebnis das, was
heute schon feststeht: "Rot-Schwarz-Grün-Gelb" wird mehr als 50 Prozent erhalten.
Ciao
Adriana
17.09.05
Guten Tag,
ich möchte hier auch mal kurz meine Meinung kundtun. Kaum einer der sogenannten
Volksvertreter vertritt wirklich die Interessen der einfachen Leute hier in
Deutschland. Sie vertreten ihre eigenen finanziellen Interessen und daher auch
nur die Interessen derer, die Geld und die Macht haben in diesem Staate!
Ob nun Boykottieren oder Linkspartei wählen, ist zweitrangig. Wer einmal
begriffen hat, daß Demokratie niemals mit einem Parlament zu erreichen ist,
muß sich wegen dieser zweitrangigen Frage nicht zerstreiten.
mit freundlichen Grüßen
Thomas
18.09.05
Hallo an alle!
So wie's ausschaut, wird das heute ein riesiger Reinfall sowohl für Rot-Grün als
auch für Schwarz-Gelb! Vielleicht sind die Deutschen doch nicht so dumm wie
eine arrgonate Intelligenzia immer rumposaunt!
Inge
18.09.05
@Inge
Ein Aufstand ist das noch lange nicht! Solange sich alle sattkonsumieren können
mit dutzenden Fernsehprogrammen, billiger Unterhaltungselektronik aus Fernost
und Fastfood, wird die Revolution ausbleiben...
Über die Zustände stöhnen: immer. Mehr Bewußtsein entwickeln, als die
omnipräsente BILDung oder Christian(sen)i-sierung es vorbeten: bloß das
nicht, das würde ja 1.) Denkarbeit und 2.) Konsequenzen erfordern.
Da geht man lieber wählen, dann hat das Gewissen Ruh (=die demokratische
Mitwirkung ist ja voll ausgeschöpft) und man kann anschließend
weiter vor sich hinjammern.
Es wird keine Revolution geben, weil dafür die Grundlage fehlt: das System
bietet vordergründig jedem alles; das hat es aus den 70ern gelernt.
So wird alle Kritik formal ausgehebelt. Und man kann immer schön sagen:
"Wieso - Du kannst doch deine Verantwortung wahrnehmen:
geh doch wählen."
Der Wirtschaftsfaschismus kann nur existieren weil Konsumgeilheit und
verblödeter Individualismus ihn am Leben erhalten.
Christian
18.09.05
Hallo Christian!
Vielleicht solltest Du Dich nicht so sehr auf "Revolution" kaprizieren. Ich finde,
Du vertrittst nicht nur einen elitären Standpunkt, der auf die kleinen Leute
herunterschaut, sondern auch einen resignativen und zugleich aggressiven
Standpunkt. Leute wie Du machen den Menschen Angst, weil sie befürchten,
daß bei einer gewaltsamen Revolution solche wie Du an die Macht kommen
und daß es dann vielleicht wieder rundgeht wie unter Robbespierre!
Mit freundlichen Grüßen
Solveig
Über weitere Diskussionsbeiträge würden wir uns freuen. Sie werden auf diesen Seiten veröffentlicht.
Kontakt:
Klaus Schramm
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